Was ist scheinbarer Wind?

Scheinbarer Wind ist kein Thema, mit dem man sich jeden Tag detailliert auseinander setzt. Vielleicht ist es für dich nur eine Problemstellung in der Sportbootführerschein (SBF) Prüfung. In diesem Fall werden deine Fragen warum Wind in einer Böe raumt bzw. warum scheinbarer Wind „Am Wind“ stärker ist weiter unten beantwortet. Wenn du jedoch ein neues Thema suchst, dass du auf deinem nächsten Date besprechen kannst, dann bist du hier richtig – lol.

Im Ernst: das Wissen um scheinbaren Wind hat seine Berechtigung und ist ein interessantes Thema.

Warum musst du wissen, was scheinbarer Wind ist?

Wenn du dein Segelboot auf dem Wasser bewegst, dann segelt es nach scheinbarem Wind. Du musst deine Segel immer nach diesem Wind einstellen, damit dein Boot effektiv segelt.

Je nachdem auf welchem Kurs du segelst, verändert sich der scheinbare Wind. Aus einem gemütlichen Ausflug auf Raumwind kann allein durch eine Kursänderung auf „Am Wind“ zu einem Abenteuer werden. Es folgen unerwartete Schräglage, es pfeift in den Ohren und deine Mitsegler werden schrecklich nervös. Dabei hat sich der Wind in der Stärke nicht verändert und trotzdem stellst du dir plötzliche die Frage, ob du dein Segel reffen solltest. Das sind die Tücken des scheinbaren Windes.

Klingt es jetzt schon etwas interessanter, dass du dich mehr für scheinbaren Wind interessierst?

Was ist scheinbarer Wind?

Fangen wir mit einer Definition an:

Scheinbarer Wind ist die Geschwindigkeit und Richtung des Windes, die auf einem Windmessgerät eines sich bewegenden Bootes (auf Wasser, Land oder Eis) angezeigt wird. Der scheinbare Wind setzt sich aus der Geschwindigkeit und Richtung des Bootes (Fahrtwind) und dem wahren Wind, beobachtet auf einem stationären Punkt an Land, zusammen.

Wir merken uns also: Scheinbarer Wind ist immer eine Kombination aus

  • Windrichtung und
  • Windstärke

des wahren Windes und des Fahrtwindes.

Was ist wahrer Wind?

Wahrer Wind ist der Wind, den du an Land spürst bzw. messen kannst, wenn du oder ein Objekt, dass den Wind misst, sich nicht bewegen. Du bist zum Beispiel ein Leuchtturm.

Mein Lieblingsbeispiel ist eine Dampflok.

Stell dir eine solche im Bahnhof vor. Die Dampflok steht und es weht kein Wind. Wohin steigt der Dampf? Richtig, nach oben. Es passiert nichts.

Stell dir nun vor die Dampflok steht immer noch im Bahnhof und plötzlich kommt Wind von links. Wohin geht der Wind? Genau, nach rechts! Diesen Wind, den wir spüren, während wir uns nicht bewegen bezeichnen wir als „wahren Wind“.

Wahrer Wind

Was ist Fahrtwind?

Fahrtwind ist die gemessene Geschwindigkeit und Richtung des Windes, der auf dein Boote wirkt, während es sich bewegt.

Gehen wir auf das Lok Beispiel zurück. Der wahre Wind ist wieder weg und die Dampflok fährt los. Wohin steigt der Dampf?

Korrekt, nach hinten. Dieser Wind, der rein durch unsere Bewegung generiert wird, bezeichnen wir als „Fahrtwind“.

Fahrtwind

Scheinbarer Wind – Vektordarstellung

Finale Frage: Wenn die Dampflok nun fährt, also Fahrtwind produziert, und wahrer Wind von links kommt. Wohin geht der Dampf jetzt? Die Antwort lautet: schräg nach hinten rechts. Diesen Wind bezeichnen wir als unseren „scheinbaren Wind“.

Scheinbarer Wind Lok

Nehmen wir den wahren Wind und Fahrtwind und illustrieren diese als Vektoren an unserem Boot, können wir diese zeichnerisch kombinieren und wir bekommen unseren scheinbaren Wind. Das Problem kannst du zeichnerisch (siehe Bilder) oder mathematisch lösen. Für die mathematische Berechnung musst du jedoch auf der englischen Wikipedia Seite weiterlesen.

Für die vereinfachte Darstellung sind Fahrtwind und wahrer Wind konstant. Nur die Richtung des wahren Windes verändert sich. Dadurch erkennen wir am besten, wie sich der scheinbare Wind in der Stärke und Richtung verändert.

Der scheinbare Wind ist die Summe aus dem wahren Wind Vektor und dem Fahrtwind Vektor.

Scheinbarer Wind Am Wind Vektoren

Auf Am Wind Kurs kommt der wahre Wind von vorne und der scheinbare Wind ist am größten.

Scheinbarer Wind Raumwind Vektoren

Auf Raumwind Kurs kommt der wahre Wind von hinten. Der scheinbare Wind ist am kleinsten.

Scheinbarer Wind Halbwind Vektoren

Auf Halbwindkurs kommt der wahre Wind von der Seite. Der scheinbare Wind liegt von der Stärke her zwischen Am Wind und Raumwind Kurs.

Was passiert mit dem scheinbaren Wind auf Vorwindkurs?

Auf Vorwindkurs darf man die Vektoren vom wahren Wind und Fahrtwind nicht addieren. Da sie gegenläufig sind, muss man sie voneinander abziehen. So kommt es zum Phänomen, dass es sich so anfühlt als ob überhaupt kein Wind mehr vorhanden ist.

Alltagsbeispiel ist das Fahrrad. Fährst du 10km/h direkt in den Wind hinein fühlt es sich sehr windig an. Drehst du um und radelst jetzt direkt weg vom Wind (Vorwindkurs) hat der Wind scheinbar gestoppt. Genau dieses Gefühl hast du beim Segeln auch. Lass dich also nicht täuschen, wenn du von Vorwind auf Am Wind wechseln musst.

Scheinbarer Wind Vorwindkurs Vektoren darstellung

Woran erkenne ich woher der scheinbare Wind kommt?

Ohne Hilfsmittel ist es sehr schwer genau festzulegen, wo der scheinbare Wind herkommt. Deshalb nutzen wir diverses Equipment, um die scheinbare Windrichtung und -stärke zu bestimmen.

Folgende Hilfsmittel nutzen Segler, um den Wind richtig zu erkennen.

  • Anemometer
  • Verklicker
  • Windfäden / Tell Tales

Anemometer werden hauptsächlich auf Yachten genutzt, die eine elektronische Versorgung haben. Dabei zeigen die elektronischen Anzeigen die scheinbare Windrichtung, Windstärke und normalerweise auch die wahre Windrichtung.

Verklicker sind kleine Einrichtungen, die dir die scheinbare Windrichtung, jedoch nicht die Windstärke anzeigen. Sie kommen in verschiedenen Formen vor und werden auf diversen Positionen angebracht. Als kleines Fähnchen* oder als Pfeilvorrichtungen* werden die Verklicker meistens auf dem Mast von mittelgroßen Booten befestigt. Sportlichere Jollensegler setzten eher diese Hawk Windanzeiger* ein und befestigen diesen am Mast unterhalb des Baumes. Damit sind sie während des Segelns einfacher im Blick zu halten.

Falls du am Anfang einen ganz simplen Windanzeiger suchst, dann kannst du auch Baumwollfäden oder altes Videokassettenband an die Wanten kleben. Als totaler Anfänger gibt es dir etwas Hilfe. Die genaue Bestimmung der Windrichtung ist damit jedoch nicht möglich.

Mein Lieblingshilfsmittel sind die Windfäden, im Englischen Tell Tales bezeichnet, in der Fock oder am hinteren Ende (Achterliek) des Großsegels. Mein alter Beachmanager sagt immer „Fäden lügen nicht“. Damit hat er recht, denn diese Fäden zeigen dir genau wann dein Segel richtig eingestellt ist. Damit weißt du nicht nur wann deine Segel korrekt getrimmt sind, sondern kannst dadurch auch erkennen wo der scheinbare Wind herkommt.

Warum ist der scheinbare Wind auf dem „Am Wind“ Kurs immer stärker als der wahre Wind?

Die Antwort auf diese Frage findet man in der Vektordarstellung etwas weiter oben bzw. mit dem Hintergrund, dass die Vektoren des Fahrtwindes und des wahren Windes addiert werden müssen, wenn der Wind von vorne kommt und das Boot auf Am Wind Kurs ist.

Warum spielt das eine Rolle und warum ist das eine Frage im Test für den Sportbootführerschein (Frage 278 übrigens)?

statia-to-saba

Segelbeispiel: Ich segel von Sint Eustatius nach Saba in der Karibik. Auf dem ganzen Weg kommt der Wind aus ziemlich genau 90° – also Ost – schräg von hinten (Raumwind). Es sind ein paar gemütliche Stunden auf meinem 47ft. Katamaran mit voller Besegellung. Man merkt die Wellen, jedoch kaum die den Wind. Spitzengeschwindigkeit des Catanas ca. 11 Knoten. Da wir knapp nicht an der Insel Saba vorbeikommen, müssten wir eigentlich halsen. Aus Trainingsgründen für die Besatzung entscheiden wir uns für eine Q-Wende. So beschlossen luve ich an… Es kommt Aufregung rein. Warum? Die Wellen schütteln das Boot hin und her, es stampft und der Wind wird plötzlich aus dem Nichts richtig stark. Die Crew macht große Augen und Verunsicherung verbreitet sich. Aus einem lauen Lüftchen wird ein regelrechter Sturm. Die Segel knallen, der ein oder andere erwacht aus dem Schlaf, den er auf Raumwindkurs genießen konnte.

Letztendlich geht alles klar und ich bekomme die Chance eine kleine Theorieeinheit über den scheinbaren Wind nach dem Festmachen an der Boje zu halten. Jetzt wissen alle an Bord, dass sich der wahre Wind und der Fahrtwind auf Am Wind Kurs addieren und es deshalb scheinbar mehr Wind als wahren Wind gibt.

Ein weiteres gutes Beispiel, warum der Wind auf Am Wind stärker ist, erklärt dieses Fahrrad Beispiel in meinem Artikel über die Theorie vom Segeln.

Warum raumt beim Einfallen einer Bö auf Amwindkurs der scheinbare Wind?

Frage 280 im offiziellen Fragenkatalog für den amtlichen Sportbootführerschein mit dem Geltungsbereich Binnenschifffahrtsstraßen.

Nehmen wir die Frage zuerst auseinander:

Am Wind Kurs: Ein Kurs, bei dem der Wind von irgendwo schräg von vorne kommt.

Bö: Kurzzeitige Erhöhung des Windes über die Durchschnittswindgeschwindigkeit (Gegenteil: Windloch)

Raumen: Wind dreht Richung achtern, während der Kurs beibehalten wird.

Weitere Segelbegriffe, einfach für jedermann erklärt, findest du im sich stetig weiter entwickelndem Seglerlatein.

Jetzt kennen wir die Grundlagen und nun folgt die Antwort auf die Frage: „Warum raumt beim Einfallen einer Bö auf Amwindkurs der scheinbare Wind?“

Eine kurze Böe hat keinen großen Einfluss auf unsere Fahrtgeschwindigkeit. Außerdem gehen wir davon aus, dass unser Kurs gleich bleibt. Unter Mithilfe von Vektoren können wir zeichnerisch die Lösung erstellen.

Scheinbarer Wind Raumt Vektoren

Wie das Bild zeigt und wir oben festgestellt haben, bleibt der Fahrtwind gleich und der wahre Wind vergrößert sich durch die Böe (roter Pfeil) bei gleichem Kurs. Der scheinbare Wind wird kurzfristig größer und der Winkel zwischen wahrem Wind und scheinbarem Wind kleiner. Der Wind dreht Richtung Achtern – er raumt.

Raumt der Wind auf einer Kreuz (du segelst zick zack Richtung Wind), dann kannst du den neuen Einfallswinkel des scheinbaren Windes für dich nutzen. Denn durch das Raumen wird aus zum Beispiel einem Hoch Am Wind Kurs ein Am Wind Kurs.

Luve an (fahre näher an den Wind heran) solange die Böe auftritt.

Ist die Böe zu Ende, dann schralt der Wind wieder und du musst abfallen oder du läufst Gefahr zu hoch am Wind zu segeln. Vorausgesetzt du segelst bereits Hoch Am Wind.

Würde dein Boot sehr schnell auf die Böe reagieren und die Fahrtgeschwindigkeit gleichzeitig und gleichmäßig mit dem erhöhtem wahren Wind ansteigen, dann würdest du keine Veränderung merken, außer dass mehr Wind ist.

Fazit: Ein Segelboot segelt immer nach scheinbarem Wind!

Sind dir einige Begriffe nicht bekannt, dann empfehle ich dir das Seglerlatein auf Segelplanet.de – Segelbegriffe für Anfänger auf Deutsch & Englisch einfach erklärt.


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4 Gedanken zu „Was ist scheinbarer Wind?

  1. ide fix Antworten

    Beim Bild „Vorwindkurs“ solltest Du Wahren Wind und Fahrtwind in den Längen tauschen. Dann kommt auch der scheinbare Wind von hinten. So wie es jetzt dargestellt ist, schiebt eine große Welle.

    • Tom Autor des BeitragsAntworten

      Hallo,
      Danke für den hilfreichen Hinweis. Das Bild ist nun aktualisiert!

  2. Ulf Antworten

    Moin, ich habe 20 Minuten gebraucht um die Antwort auf diese Frage wirklich zu verstehen. Ich konnte mir den Begriff „raumt“ nicht erklären. Nun glaube ich es zu wissen. „Raumt“ bedeutet: der scheinbare Wind geht in Richtung Raumwind. Die Zeigerspitze bleibt gleich, der Anfang geht in diesem Fall in Richtung Osten. Würde er weiter drehen, würden wir im Raumwind landen.

    • Tom Autor des BeitragsAntworten

      Hallo,

      Eine gute Eselsbrücke. Damit wirst du es sicher nicht so schnell vergessen!

      Ich kann noch das Seglerlatain auf SegelPlanet empfehlen!

      Tom

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