Segeln – wie geht das?

Wie funktioniert Segeln eigentlich? Eine typische Frage, auf die man entweder endlose physikalische Erklärungen bekommt oder mit einem kurzen „Segeln funktioniert wie ein Flugzeugflügel“ abgefertigt wird. Da ich bereits die unterschiedlichsten Varianten gehört habe, dachte ich mir, fasse ich es mal so einfach und trotzdem detailliert zusammen, dass du hoffentlich hinterher weißt, wie segeln in der Theorie geht.

Wenn du nur eine sehr kurze, semi-komplizierte Erklärung suchst: Segeln funktioniert, weil der Wind bei der Vorwärtsbewegung über dem Segeln eine Auftriebskraft erzeugt. Diesem Einfluss steht eine Kraft, erzeugt durch den Lateralplan (alle Teile vom Boot unter Wasser), gegenüber. Da diese zwei Kräfte sich entgegenwirken, entsteht eine Vorwärtsbewegung.

Stell dir vor, du drückst ein nasses Stück Seife zusammen. Wohin geht die Energie und die Seife? Genau, nach vorne.

Etwas detaillierter und so einfach wie möglich erklärt, findest du das weiter unten.

Warum sollte ich verstehen wie ein Segelboot funktioniert?

Wenn du weißt wie sich ein Segelboot vorwärts bewegt, dann verstehst du, wie du in vielen Situationen reagieren musst und warum etwas gerade passiert. Dir werden die Zusammenhänge von Aktion und Reaktion verständlicher und du wirst ein besserer und sicherer Segler.

Mit diesem Verständnis verstehst du zum Beispiel warum ein Segelboot krängt (schräg steht) und wie du es verhindern kannst. Du verstehst, warum die anderen Schneller segeln als du. Ebenso wird es nach dem Lesen mehr Sinn ergeben, warum sich „am Wind“ segeln immer viel schneller anfühlt als „Raumwindsegeln“, obwohl das gar nicht so ist! Und vor allem wird dir klar, warum die richtige Segelstellung ein wichtiger Teil des Segelns ist.

Darum sind früher alle nur mit dem Wind gesegelt

Weltweiter Handel auf dem Meer wurde Jahrhunderte vom Passat Wind (im englischen ‚Trade Winds‘ – Handelswinde) beeinflusst. Die damaligen Boote fuhren entlang dieser Routen, um zwischen Europa, Afrika und den amerikanischen Kontinenten Handel zu betreiben. Warum? Die Traditionssegelschiffe hatten vorwiegend Segeln, die quer zum Boot standen. Dadurch konnten diese Segelboote nur mit dem Wind fahren.

Die Denkweise vieler, dass Boote vom Wind geschoben werden, war damals korrekt, ist jedoch heute in den meisten Situationen nicht mehr der Fall.

Übung: Stell dich auf ein Surfbrett und halte eine große Mülltüte gespannt mit beiden Händen hoch! Drehe dich anschließend nach rechts und links und finde heraus, bis zu welchem Winkel du mit deiner Tüte noch Vortrieb erzeugst.
Glückwunsch du bist nun ein Segler wie in alten Zeiten!

Genau wie in der Übung oben funktionierte das Segeln damals bzw. funktioniert es heute auf dem sogenannten Vorwindkurs. Der Wind bläst von hinten in die Segel und generiert Widerstand, der das Boot vorwärts bewegt.

Segeln - Wie geht das? Vorwindkurs
Wind triff auf die Segel und schiebt das Boot aufgrund des Widerstandes nach vorne.

Genau wie du mit deiner Mülltüte, konnten die Segelboote früher ein gewissen Kurs links und rechts ansteuern. Wenn sie allerdings zuweit in Richtung Wind drehten, entstand keine Vorwärtsbewegung mehr.

So funktioniert ein Segel

Heute sieht das anders aus. Segelboote haben Segel, die Flugzeugflügeln ähneln und genau so wie solche funktionieren. Dadurch kann ein Segler in fast alle Richtungen Segeln.

Geblieben ist ein Bereich ca. 45 Grad links und rechts vom Wind, der nicht besegelt werden kann. Dieser Bereich wird „Im Wind“ bzw. im Englischen „No Go Zone“ bezeichnet. Dieser Bereich ist von Boot zu Boot unterschiedlich, wird aber in der Segeltheorie aus Einfachheit meist auf 45 Grad festgelegt.

Kurse zum Wind
Die Winkel, die von einem Segelboot befahren können

Das Profil eines Segels

Segelmacher schneidern ihre Segel so, dass diese ein Profil haben und nicht flache Bettlaken im Wind sind. Auf einem Vorwindkurs werden diese Segel sehr bauchig gefahren, um möglichst viel „Wind einzufangen“ und Widerstand in Vortrieb zu erzeugen.

Wenn man näher an den Wind heran segelt, werden Segel flacher getrimmt, damit der Wind um das Profil des Segels herumwehen kann. Auch wenn man hier nicht mehr von einem bauchigen Segel sprechen kann, entsteht ein gewisses Segelprofil.

Wie funktioniert ein Segel?
Durch das Profil im Segel entsteht ein Überdruck in Luv und ein Unterdruck in Lee

Aufgrund dieses Profils entsteht auf der Lee Seite ein etwas längerer Weg für den Wind als auf der Luv Seite.

Luv: die windZUgewandte Seite
Lee: die windABgewandte Seite

Merke: Luv ist dort, wo die Luft herkommt.

Weitere Begriffserklärungen findest du im kleinen Seglerlatein für Anfänger.

Was bedeutet das für uns? Die Luft muss sich auf der längeren Lee-Seite schneller bewegen als auf der kürzeren Luv-Seite.

Aufgabe: Verlasse gleichzeitig mit einem Freund das Haus und komme gleichzeitig beim Aldi um die Ecke an! Dabei darf dein Freund direkt zu Aldi gehen. Du musst jedoch vorher noch bei der Post vorbei.
Frage: Was musst du machen, um gleichzeitig bei Aldi anzukommen, wenn ihr beide das Haus zur gleichen Zeit verlasst?

Übungsaufgabe
Siehe Aufgabe oben

Die Lösung ist: du musst dich schneller bewegen, um gleichzeitig anzukommen. Das mag nicht das physikalisch beste Beispiel sein, kommt im Prinzip aber auf den gleichen Punkt. Längerer Weg, heißt schneller bewegen.

Bernoulli Effekt

Herr Bernoulli hat damals festgestellt, dass je größer die Strömungsgeschwindigkeit der Luft ist, desto kleiner ist der Druck.

Was bedeutet das für unser Segel? Es bedeutet, dass sich auf der Lee-Seite aufgrund der sich schnelleren Luft ein geringerer Druck befindet als auf der Luv-Seite mit langsamerer Luft.

Wirkungsrichtung Wind Segeln
Kraft wirkt 90 Grad zur Segelstellung

Segeln durch Auftrieb

Da sich Mutter Natur jederzeit dafür einsetzt ein Gleichgewicht zu erzeugen, kommt es zu einem gewollten Druckausgleich 90 Grad zur Segelposition. Der geringere Druck soll durch den höheren Druck ausgeglichen werden.

Da sich zwischen diesen unterschiedlichen Drücken ein Segel befindet und der Ausgleich nicht entstehen kann, wird das Segel durch den geringeren Druck nach vorne gezogen.

Es entsteht Auftrieb.

Aufgabe: Hol dir ein längliches Stück Papier und halte es direkt an deine Unterlippe. Blase nun Luft aus deinem Mund und schau was passiert.

Wie funktionieren Segel?
Halte das Stück Papier unter deine Unterlippe
Wie funktionieren Segel?
Das Papier geht nach oben, wenn du Luft drüber bläst

Das Stück Papier kommt vielleicht unerwartet für dich nach oben. Hier treten die gleichen Gesetze wie beim Segel in Kraft. Die schnellere Luft oberhalb des Papiers generiert einen Unterdruck im Verhältnis zur Unterseite. Der angestrebte Druckausgleich zieht das Papier nach oben.

Ein Alltagsbeispiel: Die Einflüsse des Druckausgleichs und dem Gesetz von Bernoulli, findest du an vielen Orten wieder. Mein Lieblingsbeispiel ist der Bahnhof. Wenn ein schneller Zug durch den Bahnhof rast, generiert dieser aufgrund der schnellen Bewegung einen geringeren Druck, also einen Unterdruck, gegenüber dem Bahnsteig. Würde die Linie auf dem Boden keinen Mindestabstand aufzeigen, könnte es passieren, dass du, genau wie unsere Segel, in diesen Unterdruck gezogen wirst.

Der Lateralplan

Soweit so gut! Jetzt haben wir allerdings das Problem, dass die Kräfte vorwiegend seitlich auf unser Boot wirken und wir nun hauptsächliche seitlichen Versatz hätten.

Das wäre auch so, wenn das Boot komplett flach auf dem Wasser sitzen würde. Boote sitzen allerdings im Wasser und haben diverse Teile, die tiefer ragen. Darunter zählen das ganze Unterwasserschiff (der Bootsrumpf unter Wasser), das Ruder, der Kiel bzw. das Schwert auf Jollen.

Lateralplan Segeln
Rot eingefärbt der Lateralplan des Bootes.

Die Kombination aus allen Faktoren wird Lateralplan genannt und generiert einen Lateraldruck bzw. eine Querkraft. Der Wind drückt das Boot mithilfe der Segel in eine Richtung und der Lateraldruck wirkt entgegengesetzt dieser Bewegung als Querkraft.

Aus der Kombination dieser beiden Kräften (Auftrieb und Querkraft) entsteht nun eine Vorwärtsbewegung.

Aufgabe: Schnapp dir eine Olive oder nasse Seife und drücke von oben und von unten auf dein Objekt deiner Wahl! Was ist das Ergebnis?

Wenn zwei Kräfte entgegengesetzt aufeinander wirken, entsteht eine weitere Kraft, die nach vorne geht. Der Kern bzw. die Seife fliegt nach vorne weg.

In welche Richtung kann ein Segelboot fahren?

Boote können in fast alle Richtungen segeln. Der einzige Bereich, in dem die Segel nicht mehr funktionieren ist der „Im Wind“ Bereich.
Die möglichen Kurse setzten sich zusammen aus

  • Am Wind
  • Halbwind
  • Raumwind
  • Vorwind

Betrachten wir auf den verschiedenen Kursen den Vortrieb, der auf unser Boot wirkt, stellen wir fest, dass dieser verhältnismäßig gering ist zur Auftriebskraft am Segel und Querkraft des Lateralplanes.

Wie oben beschrieben, würde es den Vortrieb ohne Lateralplan und somit ohne Querkraft gar nicht geben.

Desto mehr sich das Boot in Richtung Wind bewegt, desto schlechter wird das Verhältnis von Vortrieb und Querkraft. Die aus dem Wind im Segel genutzte Energie geht Großteils durch seitlichen Driften und durch die Neigung des Bootes (Krängung) verloren. Je weiter ein Boot krängt, desto mehr Wind geht über das schräg stehende Segel hinweg.

Je mehr das Boot weg vom Wind dreht, desto geringer nimmt die Querkraft Einfluss auf den Vortrieb. Die Krängung und das Driften wird reduziert und die Windenergie im Segel wird mehr in Vortrieb umgewandelt.

Dies ist der Grund, warum ein Segelboot auf Kursen mit Wind schräg von hinten schneller segelt als mit Wind schräg von vorne.

Viele sind der Meinung, dass ein Segelboot am schnellsten am Wind segelt. Diese irrtümliche Annahme hängt jedoch mit dem „scheinbaren Wind“ zusammen und wie sich Wind z. B. bei uns im Gesicht anfühlt.

In dem Beitrag Kurse zum Wind habe ich die segelbaren Richtungen etwas mehr unter die Lupe genommen.

Was ist scheinbarer Wind?

Ein finaler Teil in diesem Abschnitt handelt über den „scheinbaren Wind“. Scheinbarer Wind ist die Kombination von „Wahrem Wind“ und Fahrtwind und ist die Grundlage, nach der wir unsere Segel auf dem Boot einstellen.

Stell dir eine alte Dampflok im Bahnhof vor. Die Dampflok steht und es weht kein Wind. Wohin steigt der Dampf? Richtig, nach oben.

Die Dampflok steht immer noch im Bahnhof und plötzlich kommt Wind von links. Wohin geht Wind? Genau, nach rechts! Diesen Wind, den wir spüren während wir uns nicht bewegen bezeichnen wir als „wahren Wind„.

Der Wind ist wieder weg und die Dampflok fährt los. Wohin steigt der Dampf? Korrekt, nach hinten. Dieser Wind, der rein durch unsere Bewegung generiert wird, bezeichnen wir als „Fahrtwind„.

Finale Frage: Wenn die Dampflok nun fährt, also Fahrtwind produziert, und wahrer Wind von links kommt. Wohin geht der Dampf jetzt? Die Antwort lautet: schräg nach hinten rechts. Diesen Wind bezeichnen wir als „scheinbaren Wind„.

Welchen Einfluss hat scheinbarer Wind auf uns beim Segeln?

Wahren Wind spürt man nur, solange man sich nicht bewegt. Sobald wir uns bewegen spüren wir immer scheinbaren Wind. Das heißt auch, dass unsere Segel immer nach scheinbaren Wind eingestellt werden.

Woran erkenne ich auf dem Boot, wo der wahre Wind herkommt?

Wenn Du an Land stehst, ist es ganz einfach den wahren Wind zu erkennen. Vom typischen feuchten Finger in der Luft und nach Ästen schauen würde ich abraten. Das ist viel zu ungenau.

Um den wahren Wind an Land zu finden, drehst du dich am besten langsam im Kreis. Wenn du ein leichtes Rauschen gleichzeitig in beiden Ohren verspürst, dann schaust du genau in die Richtung, wo der Wind herkommt.

Halte deine Arme jetzt schräg nach vorne, als ob du jemanden umarmen möchtest. Jetzt zeigst du dir selbst die vorherrschende „im Wind Zone“ an.

Auf dem Boot geht das nicht, da wir uns bewegen und somit nur noch den scheinbaren Wind spüren. Musst du jedoch wissen, wo der Wind herkommt, weil du dein Boot im Hafen oder an der Boje festmachen willst, oder die richtige Segeleinstellung zu finden, dann kannst du folgende Sachen nutzen:

  • Boot mit Anker oder Boje festgemacht – Diese Boot zeigen immer mit dem Bug in den Wind (Voraussetzung, keine Strömung und mit Bug voraus festgemacht)
  • Verklicker (Windanzeiger) auf Bootsmasten im Hafen
  • Mach eine Wende. Im Moment, indem alle Segel gleichzeitig in der Mitte sind, zeigt dein Boot in die Richtung des wahren Windes.
  • Wenn du nicht wenden willst: Drehe den Bug des Bootes so lange Richtung Wind bis alle Segel killen und du langsamer wirst. Wenn alle Segel in der Mitte des Bootes flattern bist du in der im Wind Zone. Achtung: Benötigst du zu lange, um den wahren Wind im Wind festzustellen, verlierst du zu viel Fahrt und bleibst stehen (mehr für geübte Segler).
  • Wenn dein Boot einen elektrischen Windanzeiger hat, kannst du dort ablesen wo der Wind herkommt.

Mehr Tipps findest du im Artikel über die Windbestimmung des wahren Windes.

Warum ist der scheinbare Wind „am Wind“ am stärksten?

Hierzu ein Beispiel vom Fahrrad fahren. Fährst du von A nach B und der Wind kommt mit 20 km/h von vorne, fühlt der Wind sich sehr stark an. Schließlich addieren sich Fahrtwind und wahrer Wind zusammen. Du spürst also mehr als 20 km/h Wind.

Fährst du wieder zurück von B nach A und hast den Wind im Rücken, fühlt es sich an, als ob der Wind weg ist. In diesem Fall heben sich die Winde gegenseitig auf. Fährst du 20 km/h und der Wind kommt mit 20 kmh/ von hinten, spürst du gar keinen Wind mehr.

Diese Kombination von Winden findet beim Segeln ebenso statt. Segelst du Richtung Wind, addieren sich Fahrtwind und wahrer Wind. Segelst du weg vom Wind subtrahieren sich diese.

Das ist die Ursache warum sich am Wind segeln, bei gleicher Windstärke immer viel schneller und windiger anfühlt.

Hast du etwas gelernt? Sind dir Fehler aufgefallen und du weißt es besser? Schreibe einen Komentar!

Sind dir einige Begriffe nicht bekannt, dann empfehle ich dir das Seglerlatein auf Segelplanet.de – Segelbegriffe für Anfänger auf Deutsch & Englisch einfach erklärt.

4 Gedanken zu „Segeln – wie geht das?

  1. Karl Schuck Antworten

    Tolle, verständliche Erklärung! Wollte mir schon immer ein Segelboot zulegen, bis jetzt hat es ( nur ) zum
    Seekajak gereicht. Aber , wenn man nicht direkt am Wasser wohnt, hat das kleine Wanderboot auch seine
    Vorteile.

    • Tom Autor des BeitragsAntworten

      Hey Karl,
      Danke für das Lob.
      In Leipzig (steht in deiner E-Mail) gibt es auch jede Menge Segelmöglichkeiten. Man muss gar kein Boot besitzen, um in die Vorzüge zu kommen!
      Kann dir da gerne weiter helfen, da ich auch gerade in Leipzig bin.

      Tom

    • Tom Autor des BeitragsAntworten

      Hi Peter

      ich schaue mir das mal an. Vielleicht verändere ich dann diesen post leicht.

      Danke
      Tom

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